Sonntag, 25. Oktober 2015

"Fahrenheit 451" im Theater Heidelberg

Die Stadt der Zukunft als Computer-Platine, graue Anonymität und Gleichförmigkeit, alles ist auf Funktionalität ausgelegt und wird auch danach gemessen. Damit keiner auf die Idee kommt nachzudenken, damit niemand überhaupt auf irgendeine Idee kommt, wird den Menschen völlig sinnentleerte Unterhaltung geboten. Konsum ist erste Bürgerpflicht!
All das vermögen das Bühnenbild und die Inszenierung von „Fahrenheit 451“ nach dem gleichnamigen Roman von Ray Bradbury zu Beginn der Heidelberger Aufführung zu vermitteln. Die Bilder sind klar, die Sprache teilweise drastisch, auf jeden Fall passend. Videoprojektionen und ein dröhnender Sound bringen dem Zuschauer den Overkill des medialen Rauschens zu Bewusstsein. Auch die Zerstörung des unmittelbar Zwischenmenschlichen, wird deutlich, wenn sich die Hauptfigur Guy Montag in erotischer Absicht seiner Frau Mildred nähert, die aber von ihm abrückt und ihn für die Triebabfuhr auf die in der Wand installierte Selbstbefriedigungsvorrichtung verweist.
Als Clarissa, eine junge Frau, die noch Sinn und Geschmack für die unmittelbaren Eindrücke der Natur hat, in sein Leben tritt, verstärken sich Montags Zweifel am System und seiner Rolle darin. Als Feuerwehrmann (engl. firefighter, Feuerkämpfer) ist es seine Aufgabe mit seiner Einheit Bücher aufzuspüren und zu verbrennen. Denn Bücher regen zum Nachdenken an, und das ist das Letzte, was das auf Unterdrückung durch Verdummung ausgelegte System für sein konsumierendes Menschenmaterial will.
Je länger sich die Heidelberger Inszenierung hinzieht umso mehr verliert sie sich in ihrem eigenen Stil, sodass das Stück und sein Gehalt immer mehr in den Hintergrund rücken. Sprache und Inszenierung rutschen zunehmend ins Zotige, der Einsatz von Bild- und Tontechnik verkommt fast zum Selbstzweck.
Eine schöne Idee ist noch, dass das Publikum als die „Büchermenschen“ (Menschen, die ein Buch auswendig gelernt haben, um es über seine Verbrennung hinaus vor der Vergessenheit zu bewahren) in die Handlung einbezogen wird. Am Ende der Handlung wird sich Montag zu den Büchermenschen flüchten. Diese Flucht wird allerdings wieder als Videoprojektion gezeigt. Wenn man der Inszenierung gut will, kann man sagen, dass wir die Flucht durch das Objektiv einer Überwachungsdrohne sehen. Man kann diese Projektion aber auch so sehen, als laufe Montag vor uns, den „Büchermenschen“ weg. So hat es ein Mitglied der Gruppe, mit der ich die Aufführung besucht habe, empfunden. Ein Eindruck, den ich durchaus teilen kann.
Fazit: Das Heidelberger Theater verfehlt letztlich mit seiner Inszenierung das Thema von „Fahrenheit 451“. Enttäuschend.

Sonntag, 18. Oktober 2015

Lana leider langweilig - Rezension zum Album Honeymoon von Lana Del Rey

Lana Del Rey – was für ein Klang! Der Glamour der 1950er und -60er Jahre, der junge Sean Connery - ein richtiger Mann! Marilyn Monroe, Grace Kelly und Audrey Hepburn – Inbegriffe der Weiblichkeit. All das evoziert Elizabeth Woolridge Grant allein mit ihrem Künstlernamen und ihrem Look. Das brünette Haar in großer Föhnwelle wallend oder mit Haarspray so hochtoupiert, dass man sie persönlich für das Ozonloch verantwortlich machen wollte, hätte sie tatsächlich in den Jahrzehnten, auf die sie sich bezieht, gelebt. Dazu das immer wieder von ihr genannte Partydress, der Lipstick, das Mascara. So erschuf sich Lana Del Rey selbst als Dressed-Up-Messed-Up-Wanna-Be-Dirty-Disney-Princess-Beauty-Queen. Rauchige Schwermut in der verführerischen Stimme, weinende Violinen aus dem All-American-Movie-Soundtrack, die sich an zeitgemäßen Beats brechen. Damit verführte sie ihr Publikum auf ihrem ersten Album „Born to Die“ und der folgenden EP „Paradise“. Ihre Fans verehren sie seither wie eine Göttin und das Feuilleton huldigt ihr.
Mit ihren ersten beiden Veröffentlichungen erweckte sie das wunderschöne, heile, gesunde, klassische Bild, das sich Amerika in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhundets von sich selbst gemacht hatte. Aber in dieses Bild fügte sie auch immer wieder die Brüche und Hässlichkeiten, die Verlogenheit und krankhafte Rückwärtsgewandtheit dieser Epoche ein. Sei es in ihren Texten, in denen sich das weibliche Ich dem jungen wilden oder dem reichen alten Mann in die Arme wirft, sich nicht helfen kann und doch mehr oder weniger deutlich erkennt, dass sie nur den Untergang oder die Ausbeutung vor sich hat. Aber immerhin vor der Kulisse der malerisch im Westen versinkenden Sonne. Oder auch in ihren Videos, wenn sie sich z.B. in National Anthem als wiedererstandene Jackie Kennedy an ihren Gemahl und Präsidenten der USA, einen klassischen Gangsta schmiegt. Hier verschmelzen gestrige und heutige Rassenprobleme und die Glamour-Ästhetik von damals und die Hip-Hop-Ästhetik von heute zu etwas verstörend und betörend Neuem.
Dass sie auf ihrem zweiten Album „Ultraviolence“ diesen Weg nicht weiterverfolgt, sondern eine rauere und weniger glatt eingängige Platte abgeliefert hat, ist ihr als Künstlerin hoch anzurechnen. Doch was müssen die Fans vor Freude aufgejauchzt haben, als die Göttin herself ankündigte, dass ihr drittes Album „Honeymoon“ musikalisch wieder die Richtung von Born to Die/Paradise einschlagen würde. Und ja, die Filmmusik-Violinen bekommen auf „Honeymoon“ wieder den ein oder anderen Einsatz, der lautmalerische Witz ihrer Texte klingt auch hier und da an (High by the Beach, Salvatore). Dennoch fehlt die explizite Frechheit eines Textes wie „Cola“ oder die mitreißende Melancholie eines Songs wie „Summertime Sadness“.
Nicht ein einziger Song auf „Honeymoon“ ist schlecht. Jeder einzelne ist gut anzuhören, das Problem ist vielmehr die Zusammenstellung der Stücke. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Musik sehr getragen, bewegt sich fast alles konstant auf einem Tempo und in einer Dynamik.
So bleibt als Fazit zu „Honeymoon“ nur ein traurig enttäuscht gehauchtes La la la: Lana leider langweilig.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Molly Antopol, Die Unamerikanischen



Wer sind „die (US-)Amerikaner“? Mal abgesehen von 1,1 Prozent indianischer, hawaiinischer und ozeanischer Amerikaner haben alle anderen (also lediglich 98,9 Prozent der Bevölkerung) einen Migrationshintergrund. Bei vielen mag dieser Migrationshintergrund schon etwa vierhundert Jahre alt sein, andere sind vielleicht gerade eben erst eingewandert, und wieder andere haben ihre meist europäischen oder osteuropäischen Wurzeln in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter sich gelassen. Und um genau diese Gruppe und ihre Nachfahren geht es der amerikanischen Autorin und Dozentin für kreatives Schreiben an der Stanford University Molly Antopol in ihrem ersten Buch „Die Unamerikanischen“.
Entscheidende Anstöße für diese Sammlung von acht Erzählungen habe sie aus den Geschichten ihrer eigenen Familie erhalten. Über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren seien diese Erzählungen entstanden und gereift, so gibt es die Autorin in Interviews zu Protokoll.
Antopols Figuren versuchen in ihrem Leben glücklich zu werden, so wie dies wohl alle Menschen versuchen. Entscheidend für Antopols Figuren ist indes, dass sich dieses Leben stets zwischen den „Welten“ Vereinigte Staaten, (Ost-)Europa und/oder Israel abzuspielen scheint, mit all den Möglichkeiten im Guten wie im Schlechten, die das mit sich bringen mag.
In einer klaren und angenehm direkten Sprache lässt Molly Antopol ihre Leser an den Schicksalen ihrer Figuren teilhaben. Dass man als selbst Schreibender von ihr, der Dozentin für kreatives Schreiben beim Lesen noch einiges über das geschickte Komponieren von Erzählungen lernen kann, ist eine durchaus angenehme Dreingabe.

Molly Antopol, Die Unamerikanischen. München: Hanser Berlin, 2015.